Poppy Harlow hat ein Problem
Diese Rede wurde im Schauspielhaus gehalten und im Standard veröffentlicht. Leserkommentar | Helga Pregesbauer 25. November 2013 http://diestandard.at/1381374095272/Poppy-Harlow-hat-ein-Problem
Poppy Harlow hat ein Problem und das ist gut so. Auf ihrer Twitterseite gab es vor ein einiger Zeit unzählige Kommentare, von denen ich Ihnen einige nicht vorenthalten möchte:
Poppy Harlow ist eine Peinlichkeit von einer Reporterin. | Du bist ein richtiges Stück Scheiße | du bist eine Schande für die journalistische Gemeinde. | Das ist eine ganz schön beschissene Art um juristische Abläufe zu präsentieren. | du bist einer der schlimmsten Vergewaltigungsverharmloser den ich je gesehen habe. | du solltest dich schämen, ich schäme mich für dich. | dein Bericht ist verabscheuungswürdig (…) und du bist ein Monster.
Poppy Harlow ist eine von drei CCN-ReporterInnen, die von einer besonders grausamen Vergewaltigung im US-amerikanischen Steubenville berichtet haben. Niemand verlor ein Wort über das Opfer. Stattdessen bemitleideten sie ausführlich die Täter. Durch das Urteil sei deren Leben und vielversprechende Zukunft zerstört worden. Für so viel geballte Journalistische Fehlleistung erhielten Poppy und CNN eine getwitterte Rechnung.
Vorgestern ging ich am Abend ans Donauufer, es ist dunkel und unbeleuchtet dort. Als ich die finstere Treppe hinunterstieg, saßen zwei junge Männer auf einem Geländer, die mir nachsahen. Ich sah in ihren Gesichtern diese Botschaft, die man ständig überall den Frauen mit auf ihre dunklen Wege gibt und die nie lautet: du kannst dir den Fuß brechen und niemand hilft dir.
Die Botschaft ist:
Was macht die da,
allein,
in der Dunkelheit.
wenn da einer hinter der Hecke hervorkommt …
Die ehrliche Botschaft dahinter ist: eine vergewaltigte Person ist selber schuld, hätte sie nicht, wäre sie nicht. Und diese Botschaft ist eine Lüge.
Vergewaltiger kommen nur in etwa fünf Prozent der Fälle hinter Hecken hervor, die meisten TäterInnen sitzen beim Opfer am Küchentisch oder in der Schulklasse, liegen im Bett des Opfers, sind Verwandte und Bekannte. Das Problem sind nicht allein die niedrigen Strafen, sondern dass keine Strafen verhängt werden. Warum ist das so? Unter anderem, weil 90 Prozent der Sexualverbrechen nie angezeigt werden. Rund 70 Prozent aller Anzeigen landen nicht bei Gericht, weil Staatsanwaltschaften sie ablehnen. 87 Prozent aller Gerichtsverhandlungen wegen Sexualverbrechen in Österreich enden mit Freispruch. Tendenz steigend. In Summe erhalten mehr als 99 Prozent der Vergewaltiger nie eine Strafe von einem Gericht. in Österreich und so gut wie überall in der Welt.
Doch warum werden sie nie angezeigt?
Wegen der Poppy Harlows dieser Welt. Weil man den Opfern sagt: hättest du nicht – wärst du nicht – was hast du dort gemacht – warum bist du mitgegangen. Weil man ihnen sagt: Sie zerstören die vielversprechende Zukunft der Männer. Wegen der Artikel, die mit Vergewaltigungswitzen eingeleitet werden.
Wegen solcher Berichte, die Flashbacks beim Opfer hervorrufen. „Second Rape“ nennt man sie in den USA und die Opfer finden diese Kommentare ebenso grausam wie die Vergewaltigung selbst. Das ist hart zu hören für uns, das kann man kaum ertragen. Man will sich an der Monstrosität der Fritzls festklammern. Man will sich nicht mit dem Hat-sie-einen-Mini-angehabt-Spruch von NachbarInnen, FreundInnen, Bekannten, Eltern oder LebensgefährtInnen abgeben. Man möchte, dass kranke Typen wie Prikopil das Feld abstecken. Aber sie stecken es nicht ab. Die Mehrheit der TäterInnen sind nette Nachbarn und Papas, denen man es nicht ansieht. Auch, weil wir nicht hinschauen.
Nun stellen sie sich vor, es gäbe einen Bankraub und Florian Klenk würde via Twitter ausrichten: „Da muss man ganz genau untersuchen was den Bankbeamten wirklich passiert ist, denn das ist auch im Sinne des Bankbeamten.“ Die Lächerlichkeit und Absurdität wäre für uns alle ebenso klar wie die Peinlichkeit und die Übergriffigkeit von Florian Klenk. Es geht hier nicht um einen bestimmten Journalisten. Es kann auch Christian Rainer sein, Staberl, Polly Adler oder ich. Vergewaltigungsopfer lesen und hören und lesen solche Aussagen in allen Zeitungen und auf allen Kanälen. Jeden Tag.
Eine Freundin von mir hat mich einmal gefragt: Helga, wie halten vergewaltige Frauen Zeitunglesen aus? Ich weiß es nicht, aber ich denke: gar nicht. Es ist unerträglich. Jeden Tag.
Mitschuld
Zeitungen, die derlei drucken, Autorinnen und Autoren die derlei schreiben und Menschen, die solche Aussagen von sich geben, machen sich mitschuldig daran, dass den Opfern weiterhin die Kraft für eine Anzeige fehlt, denn zu schweigen scheint im Moment das klügste, das sie tun können, um sich weiterhin zu schützen, vor den prüfenden Blicken, den unerträglichen Kommentaren, vor Mobbing, Angriffen, Morddrohungen, vor dem Angespuckt werden auf der Straße. Es ist leichter, den Erzbischöfen zu glauben als den Heimkindern. Es ist leichter sich über Falschbeschuldigungen zu echauffieren als sich in das Leid der Vergewaltigten hinein zu fühlen. Es ist leichter ein Opfer anzuspucken als eines zu trösten.
Poppy Harlow hat ein Problem, und das ist gut so. Denn ein wesentlicher Teil der Social Media Community steht inzwischen auf der Seite des Opfers. Was den Medien bisher ausdrücklich misslingt, nämlich Solidarität mit Opfern zu kommunizieren, übernimmt jetzt die Öffentlichkeit. Nicht immer. Aber immer öfter.
Breite Öffentlichkeit gefordert
Wenn ich jemanden ein debiles Arschloch schimpfe, mache ich mich strafbar, wenn ich ein Vergewaltigungsopfer trotz gerichtsmedizinisch festgestellter Verletzungen der Lüge bezichtige ist das legal. So wie es legal ist, was angeblich Jörg Kachelmann tut. Er soll mehrere Millionen Euro für Litigation-PR ausgegeben haben. Litigation-PR. Das heißt Geld zahlen für gekaufte Medienberichte, die das Opfer diffamieren oder neutrale Berichterstattung als parteiisch verleumden. Zahlen für die Diffamierung des Opfers ist legal. Und diese Diffamierung beeinflusst Urteilsfindung nachweislich sehr stark. Die Zahl der Verurteilungen wegen Vergewaltigung sinkt seit Jahren ständig. Hier, bei uns, in Österreich. Wir brauchen Gesetze, die Medienberichte in vernünftige Bahnen lenken. Und wir brauchen eine breite Öffentlichkeit, die solche Gesetze fordert.
Der Salzburger Vergewaltiger, der zur Strafe vier Monate lang mit Fußfessel zuhause saß, fürchtet sich laut Medienberichten vor Mobbing. Das Opfer fürchtet sich vor Mobbing, vor dem Täter, wahrscheinlich auch vor Sex, vor Männern, vor Beziehungen, vor Berührungen, vor Gerichten, vor Befragungen. Es fürchtet sich vor Erinnerungen, vor dem eigenen Körper und den eigenen Gedanken. Es hat das Vertrauen in unsere Justiz verloren. Die Opfer bekommen immer lebenslang.
Gesetze werden jeden Tag geändert
Wir erinnern uns an 9/11, es gab rund 3000 Tote. Nach 9/11 haben dutzende Staaten der Welt inklusive Österreich binnen weniger Wochen die Freiheit der Bevölkerung deutlich einschränkende Gesetze geschaffen, um zukünftige Terroranschläge zu verhindern. Jedes Jahr werden Millionen Menschen vergewaltigt und kaum jemand ändert irgendwelche Gesetze. In Österreich leben wir in einem juristischen und sozialen Umfeld, welches dafür sorgt, dass 99 Prozent der Vergewaltiger straffrei bleiben. Vor rund 900 Jahren war Mord quasi eine Privatangelegenheit der Familien von Opfern und Tätern – fortschrittlicher sind wir im Vergewaltigungsstrafrecht nicht. Ein enormer und schmerzhafter Kraftakt vieler Menschen wird notwendig sein, damit wir die Opfer endlich ernst nehmen lernen und sie ebenso freundlich wie Unfall-, und Einbruchsopfer behandeln. Und es benötigt hierfür eine breite Öffentlichkeit, die neue, andere Gesetze fordert. Gesetze werden jeden Tag geändert. So ist das in der Geschichte der Menschheit seit Jahrtausenden geschehen. Aber nicht von allein, sondern weil sich Menschen dafür eingesetzt haben.
Unsere Gesellschaft wird sich ändern, wenn wir uns ändern. Wenn wir unsere Medien umgestalten und unsere Botschaften. Wenn wir die Opfer stärken, anfangen besser zuzuhören und hinzuschauen, und das tut weh. Wenn wir aufhören die Täter zu entschuldigen und aktiv eine Kultur schaffen, in der es peinlich wird, die Opfer öffentlich zu durchleuchten, ihre Moral und Lebensführung zu hinterfragen.
Das Wort „Missbrauch“
Der häufig verwendete Begriff „Missbrauch“ wird seit Jahrzehnten kritisiert. Der Falter, der Standard, die Presse, fast alle Medien und zahllose Werke der Literatur veröffentlichen regelmäßig Texte, die man der Rape Culture zurechnet. Man verwendet jenseitige Begriffe und spricht von Missbrauch oder Triebtätern. Die Verbrecher werden geschützt und die Opfer durchleuchtet bis unter die Unterhosen. Und ich sage es nochmal: Second Rape wird von den Opfern als ebenso schlimm beschrieben wie die Vergewaltigungen. Second Rape, das machen wir mit Reportagen, mit Literatur, mit Bemerkungen und Kommentaren. Second rape, das ist mitverantwortlich dafür, dass die Opfer zu wenig Kraft und zu wenig Mut haben, um zur Polizei zu gehen. Second Rape, das sind Berichte wie der von Poppy Harlow. Aber Poppy Harlow hat ein Problem.
Seien sie Teil dieses Problems.
Auch wenn es weh tut. Auch wenn man hinschauen muss, wo es weh tut hinzuschauen. Auch wenn man manchmal den Mund halten muss, obwohl man glaubt man hätte etwas zu sagen, wenn man mehr über das nachdenken muss, was man sagt und tut, und deswegen Wörter wie „Missbrauch“ aus dem Vokabular streicht, Wörter, die wir ein Leben lang verwendet haben, gedankenlos verwendet. Trennen wir uns von verletzenden Botschaften und schaffen wir ein opferfreundliches Umfeld.
Streichen wird die hättsienichtwärsienicht-Botschaft. Eine mögliche Alternative wäre: Lieber Mann, eine frau muss immer zustimmen sein. Du musst diese Zustimmung einholen. Die Mitschuld des Opfers ist eine Lüge. Sex hat man mit wachen und nüchternen Menschen.
Es ist Zeit, die Kritik endlich an die Täter zu richten statt an die Opfer. Stutzen wir die Märchen vom Mann hinter der Hecke zurecht. Sagen wir unseren Männern, unseren Söhnen, Brüdern, Neffen, Freunden, Lebensgefährten, Kollegen und Lesern die Wahrheit, nämlich dass wir alle wissen, was einvernehmliche sexuelle Kontakte sind. Hören wir auf so zu tun, als wüsste Mann das nicht; Unwissenheit über die Einvernehmlichkeit muss aufhören als Entschuldigung durchzugehen.
Achtsamkeit und Respekt
Poppy Harlow hat ein Problem. Es geht nicht um ewiggültige Lösungen oder um unsere Schuld, es geht um Achtsamkeit und Respekt. Darum, aus einer Rape Culture eine zeitgemäße Kultur zu schaffen und nach einer Lösung zu suchen, die wir alle noch nicht ganz genau kennen. Es ist schwer, es ist möglich und das ist was wir alle tun können. Denn einige Poppy Harlows haben schon ein Problem. Und das ist gut so. Ich bitte Sie: seien wir alle ein Teil solcher Probleme. Und dafür danke ich Ihnen. (Helga Pregesbauer, dieStandard.at, 25.11.2013)
Mehr von mir zu diesem Thema finden sie auf www.pregesbauer.wordpress.com und in meiner Publikationsliste.