KORNBLUMENBLAU
Gerade eine Hand voll Jahre alt oder jünger ist das Kind, mit seiner Oma unterwegs, die genau 60 Jahre älter ist, geboren mitten im ersten der großen Kriege. Beide sind klein, das Kind blond, gelockt, blaue große Kinderaugen, und es läuft rund um seine Oma, vor ihr, hinter ihr, neben ihr, nimmt hin und wieder ein Stück des Weges entlang ihre Hand, die sonnengegerbte, furchige Großmutterhand mit den krummen Fingern. In ihrer blau-geblümten Schürze geht sie an diesem heißen Augusttag neben dem Getreidefeld und hört mit den wenigen Kleinkinderworten die Preisung der Schönheit der Kornblumen zwischen den Getreideähren. Blau und Gold. Was für eine Mischung und wie toll nicht die Natur sei, die sie solch wundervolle Kombinationen und wie erfreulich für das Auge und wie herrlich deren Schönheit das Wetter die warme Sonne und die Steinchen in den Zauberfarben am Weg unter unseren Füßen. Dass doch bestimmt die Oma einsehe, wie schön diese Kornblumen im Feld seien, gell, Oma? Oma!
Die Großmutter sagt trocken, mit ungewöhnlich gefühlloser Stimme, es handle sich um einen nutzlosen Schädling, und er würde eigentlich gezielt ausgesiebt bevor man das Getreide an die Bauern verkauft, dass eigentlich niemand diese Blumen brauche und Schönheit wirklich nicht das wichtigste im Leben sei.
Das Kind lockt weiter mit seiner hohen, freundlich euphorisch lobenden Kinderstimme die Farben, die Pracht, das Verhältnis, das Wunder der Natur im Allgemeinen, den Anblick dieser Pracht und Freude. Die Großmutter schweigt. Nimmt alle paar Meter am Weg ein Korn von einer Ähre aus dem Feld, mit sanfter Hand und geräuschlos, kostet sie und spuckt sie wieder aus. Bald kann man ernten, alles umschneiden. Alles. Auf die braune Erde zurückstutzen, dann ackern.
Oma, sind die nicht ganz ganz schön, die Kornblumen, Oma? Wieso sagst du denn nicht, schau doch einmal hin, schau mich doch einmal an! Abrupt bleibt die Großmutter stehen, neigt sich ein wenig nach vor, und spricht mit leiser Stimme: „Die werden mir nie wieder gefallen.“
Warum, fragt das Kind? „Das musst du wen anderen fragen. Ich will da nie wieder darüber reden.“ Hebt steif den Kopf, richtet sich auf, geht stramm in Richtung Hofeinfahrt davon, die linke Hand sieht man beben, wenn man genau hinschaut. Die rechte hält einen Stock fest, als würde er sich wehren gegen das gehalten werden.
Das Kind läuft in die Küche im Haus neben dem der Oma, wie dass den sei mit den Kornblumen, fragt es dort, was denn da los sei, die Oma sei ja sonst nicht so naturfeindlich und komisch ist sie heute, die Oma, irgendwie traurig. Das ist der Tag an dem das Kind lernt, was ein Nazi ist, und dass es komische Männer gab, die am Gewand Blumen tragen, an denen man sie erkennt, und dass das die größten Arschlöcher und Verbrecher aller Zeiten gewesen sind.
Wenn es groß ist, wird es sich erinnern, nichts davon zu vergessen.